CF_4_2021

KOMPETENZ

Als Flötistin sind Ihre Hände Ihr Kapital. Wie lief die weitere Behandlung nach der Diagnose ab? Im St. Vinzenz-Hospital hat man mich und meine Beschwerden von Anfang an ernst genommen. Mir klar gemacht, dass es lange dauert, der Körper Zeit braucht, sich zu regenerieren und ich viel mitarbeiten muss. Die Ei- genarbeit war mir schon absolut klar, aber die Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Ich war erstmal zwölf Tage statio- när zur Behandlung. Die Hand war geschwollen. Mit einer In- fusion sollte alles ‚rausgespült‘ werden, was sich während der Bewegungsunfähigkeit mit dem Gips dort angesammelt hatte. Zeitgleich begann die Therapie mit Yoga, Ergo- und Physiothe- rapie. Wie ging es dann weiter? Nach zwölf Tagen Krankenhaus ging es ambulant weiter: das erste halbe Jahr jeweils dreimal wöchentlich Ergo- und Physio- therapie, ein weiteres Jahr je- weils zweimal wöchentlich. Au- ßerdem habe ich täglich rund zwei Stunden Übungen zu Hau- se gemacht, meinen Geist mit Meditation gestärkt, angespornt durch den Wunsch, endlich wie- der Flöte zu spielen. Können Sie jetzt, etwa andert- halb Jahre nach der Diagnose, wieder spielen? Ja, aber ich bin noch lange nicht am Ziel. Im Januar 2021 habe ich mein erstes Konzert gespielt,

Medizin‘. Meine Arbeitsunfähig- keit passierte in der ersten Co- rona-Welle. Gerade uns Künstler trifft diese Pandemie stark. Der Deutsche Musikrat hat als Co- rona-Hilfe ein Stipendium ohne Themenvorgabe mit dem Namen ‚Neu Start Kultur‘ ausgerufen. Dort haben über 5.000 Künstler eine Arbeit eingereicht, nur 1.400 konnten ein Stipendium bekom- men. Und ich bin eine davon. Die Arbeit beschreibt und dokumen- tiert die Erkrankung Morbus Su- deck, die Behandlung undmeinen Weg zurück zur Flöte. Besonders freut mich, dass die Musikhoch- schule Hannover, die als führende Hochschule in Deutschland den Schwerpunkt Neurophysiologie und –psychologie von Musikern hat, meine Stipendiumsarbeit demnächst im Rahmen eines Se- minars vorstellen will.

ein fünfminütiges Piccolo-Block- flöten-Solo. Stand September 2021 schaffe ich schon eine Stunde Spielzeit, mit großen Pausen auch mal zwei Stunden. Mein Ziel sind drei Stunden, eine ganze Probenlänge oder Oper sozusagen. Ich möchte auch alle 25 Instrumente, die ich als ausgebildete Flötistin be- herrsche, wieder spielen. Daran arbeite ich ohne Unterlass. Es ist ein Prozess. Ich habe schon viel erreicht, aber ich will noch mehr. Ich gebe nicht auf. Ich übe selbst viel, meditiere und habe den Heilungsprozess auch zu Papier gebracht. Wie muss ich das verstehen? Haben Sie ein Buch veröffent- licht? Nein, aber eine Stipendiumsar- beit mit dem Titel ‚Musik und Was nehmen Sie aus der Zeit mit?

Vielen Dank für das Gespräch! (N.U.)

Mit der geschwol- lenen Hand war an Flötespielen nicht zu denken

Grafik: Getty Images

CellitinnenForum 04 | 2021

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