Cellitinnen 3_2017

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Wer entscheidet im Notfall? Patientenverfügungen aus der Sicht eines Palliativmediziners

tig machen, vollumfänglich zu be- greifen und sich selbst ausreichend zu reflektieren. In der heutigen Zeit werden die Menschen immer älter und leiden somit auch häufiger unter Alterserkrankungen. Je älter man wird oder je mehr sich eine Behand- lungssituation zuspitzt, desto besser kann man für sich entscheiden, was man nicht möchte. Es ist wichtig, sich damit auseinan- derzusetzen, was man an Behand- lung akzeptieren kann und was nicht. Dazu gehört auch die Frage: „Unter welchen Bedingungen möchte ich leben und wie möchte ich sterben?“ All das ist sehr individuell und sollte in einem ausführlichen Gespräch mit Angehörigen, dem Hausarzt oder einer Beratungsstelle besprochen werden. Solange nichts anderes festgelegt ist, wird natürlich immer alles dafür getan, den Menschen am Leben zu erhalten oder bestmöglich zu behandeln. Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig? Für den Fall, dass ein Mensch nicht mehr in der Lage ist, sich mitzuteilen, ist es enormwichtig, ein vertrauens- volles Umfeld zu haben und eine Per- son zu benennen, die dann solche Entscheidungen stellvertretend in meinem Sinne trifft. Diese Person sollte dann nicht ihren Willen, son- dern meinen artikulieren und dafür Sorge tragen, dass er beachtet wird. Eine medizinische Verantwor- tung übernimmt sie dabei nicht, die liegt in der Hand der behandelnden Ärzte. Ein gutes Instrument hierfür

ist eine frühzeitig erstellte Vorsor- gevollmacht.

Wie gehen Sie als Arzt hierzu mit Ihren Patienten um? Die Patienten oder stellvertretend die Angehörigen werden, mit Sicht auf die individuelle Situation, von uns aufgeklärt und beraten. Wir fragen immer ab, ob eine Verfügung vor- handen ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir diese einfach stur befolgen. Der Patient, sofern er dazu noch in der Lage ist, wird immer im Zusam- menhang mit einzelnen Maßnahmen oder Therapien nach seinem Willen gefragt. Denn er ist ja da und solange er entscheidungsfähig ist, wird das umgesetzt, was in demMoment ge- wünscht ist, sofern es medizinisch möglich und sinnvoll ist. Selbstverständlich ist es für An- gehörige, die an einem geliebten Menschen hängen, schwer, wenn der Patient Maßnahmen ablehnt. Deshalb versuchen wir, die Ange- hörigen in die Prozesse mit einzube- ziehen und sie dabei zu unterstützen, Verständnis für die Entscheidung des Patienten zu entwickeln. Um Ängste aufzufangen, ist auch die seelsorgliche und psychologische Betreuung von großer Bedeutung. Uns ist es wichtig, die Würde und Selbstbestimmung des Patienten zu wahren. Lieber Herr Blaurock, herzlichen Dank für das Interview. Welche Herausforderungen gibt es dabei?

Eine Patientenverfügung gehört zu den Dingen, von denen man oft denkt: „Das müsste ich auch mal erledigen.“ Aber wann und wie? Wir haben mit Oliver Blaurock, dem lei- tenden Oberarzt der Palliativstation im St. Vinzenz-Hospital gesprochen: Herr Blaurock, Sie treffen täglich auf Menschen, die sich aufgrund ihrer Situation mit dem Sterben aus- einandersetzen. Wie viele von ihnen haben tatsächlich eine Patienten- verfügung? Rund die Hälfte der Patienten hat be- reits eine Verfügung. Diese sind aber von sehr unterschiedlicher Qualität. Und oftmals ist genau die Situation, in der sich der Patient gerade befin- det, nicht eindeutig geregelt. Was macht aus Ihrer Sicht eine gute Patientenverfügung aus? Eine gute Patientenverfügung ist vor allem eine möglichst aktuelle. Wenn man als junger Mensch eine Verfügung erstellt, ist man häufig noch nicht in der Lage, zukünftige Situationen, die eine Verfügung nö-

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