Cellitinnen 4_2014_051114-1
Titel Thema
ger lässt sie nicht unvorbereitet auf die Schwerstkranken los. Sofern sie nicht wie Ingrid Wies schon in einem Pflegeberuf arbeiten, absol- vieren sie die 160-stündige Aus- bildung ‚Palliative Care‘. Einmal im Monat treffen sich alle Ehrenamtlichen und tauschen sich aus. „Das ist gut, denn so lernen wir uns untereinander kennen“, meint Ingrid Wies. Im Bekannten- kreis stoßen sie nicht immer auf Ver- ständnis. „Nein, imHospiz arbeiten, das könnte ich ja nicht“ – der Kom- mentar ist ihnen geläufig. „Seltsam, jeden Sonntag schauen wir uns im Tatort an, wie Menschen mitten aus dem Leben gerissen werden. Hier geht das Leben seinen natürlichen Gang, und die Gesellschaft kann es kaum ertragen. So als wüsste niemand, dass wir alle mal sterben“, sinniert Christian Fiege. Den Tod zurückzuholen in die Gesellschaft, das wünschen sich beide. Einige Bewohner richten ihr Zimmer nach persönlichen Vorlieben ein, anderen reichen ein paar Familien- fotos auf dem Nachttisch. Frau K. hat sich von ihren Freunden vie- le persönliche Gegenstände ins Hospiz bringen lassen. Die Klang- schalen-Therapeutin hat sich zwi- schen Bildern, Büchern, Laptop und fernöstlicher Deko fast häuslich eingerichtet. Mit dem Tod, der für die 51-Jährige viel zu früh kommt, setzt sie sich sehr rational aus- einander. Sie will alles planen und auch das letzte Stück des Weges Freiräume
nicht dem Zufall überlassen. Vor diesemHintergrund ist es für sie nur konsequent, ihren Sarg im Zimmer zu haben. Ein guter Freund hat ihn für sie gezimmert. Gestern wurde der Sarg spätabends noch geliefert. Die zarte, hübsche Frau ist dankbar dafür, imHospiz ihre Eigenarten bis zum Schluss beibehalten zu dürfen. Sie wirkt sehr aufgeräumt, wenn sie vom Leben nach dem Tod spricht. Denn dass es ein solches gibt und es überdies viel besser sein wird als das jetzige, davon ist sie über- zeugt. Und wenn sich herausstellt, dass der Tod doch nicht rational zu erfassen und zu planen ist, und sie an ihren Erwartungen scheitern sollte? Dann ist das Team um Mar- tina Mann zur Stelle und wird sie auffangen, trösten, den Sarg aus dem Zimmer schaffen lassen, sie beruhigen und ihre Hand halten. Mit dem Tod hört die Beschäfti- gung mit dem Gast nicht auf. In seinem Zimmer wird er gewaschen und würdig hergerichtet, bevor Familienmitglieder, Freunde und Hospizmitarbeiter sich von ihm verabschieden. Die Würde des Menschen bleibt so über den Tod hinaus gewahrt. Sobald ein Gast stirbt, wird vor seinem Zimmer eine Kerze aufgestellt und eine weiße Rose niedergelegt. Zweimal im Jahr finden Gedenkfei- ern statt, zu denen die Angehörigen eingeladen werden. Mitarbeiter und Ehrenamtler bereiten diese Feiern liebevoll vor, geben den Hinterblie- Der Übergang
benen die Gelegenheit, das Hospiz mit etwas zeitlichem Abstand zu besuchen und sich mit anderen Betroffenen und dem Team aus- zutauschen. Bei der Gedenkfeier Anfang No- vember wurde auch Jos Name verlesen. Er starb einen Tag, nach dem es ihm so gut ging. Er wachte einfach amMorgen nicht mehr auf. Er schlief abends ein und der Tod nahm ihn am Vormittag mit, ohne dass er noch einmal zu Bewusst- sein kam. Ein Abschied, wie wir ihn uns alle wünschen, selbst wenn Einiges unerledigt bleibt, wie das Spendieren des Käsekuchens oder das Bierchen mit Schwester Doris. Die Rammstein-CD zu Hause wird mich immer an ihn erinnern. Ich wollte sie ihm am Tag nach meinem Besuch im Hospiz vorbeibringen. Die Kerze und die Rose waren an seiner Zimmertür.
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