Cellitinnen 4_2016
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1974 kam meine Schwester Ya- semin zur Welt. Langsam wurde Köln zu unserem neuen Zuhause. Wir Kinder gingen zur Schule, fanden deutsche Freundinnen und integrierten uns in die Gesellschaft. Meine Schwester heiratete einen deutschen Schulkameraden. Köln ist unsere Heimat. Mein Vater starb 1992 und meine Mutter erlitt vor zehn Jahren einen Schlaganfall. Zuerst pflegte mei- ne Schwester sie. Doch als diese ein Kind erwartete, mussten wir eine andere Lösung finden. Im Juli 2011 wurde in den Hausgemein- schaften St. Augustinus ein Zimmer für meine Mutter frei. Ich wohne ganz in der Nähe und besuchte meine Mutter täglich. Aus familiären Gründen und obwohl sich meine Mutter in dem Seniorenhaus sehr wohl fühlte, mussten wir sie 2012 in eine andere Einrichtung bringen. Diese Entscheidung haben wir bald bitterlich bereut. Meine Mutter war dort sehr unglücklich. Sie aß und trank zu wenig, wurde depressiv und magerte auf 46 Kilo ab. Ver- zweifelt schrieb ich dem Senioren- hausleiter Dino Kierdorf einen Brief. Ich habe ihm unsere Situation offen und ehrlich geschildert und ihn ge- beten, meine Mutter wieder auf- zunehmen. Schon am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf: Ja, man werde meine Mutter gerne wieder aufnehmen, sobald ein Zimmer frei würde. Ich kämpfte mit Rücken- deckung von Dino Kierdorf wie ein Löwe beim Sozialamt und schließ- In den Hausgemeinschaften St. Augustinus
lich stimmten die Sachbearbeiter zu: Meine Mutter durfte zurück.
Seit August lebt sie nun wieder in den Hausgemeinschaften St. Au- gustinus. „Ich bin heimgekehrt“, sagte sie erleichtert, als sie ihr neu- es Zimmer bezog. Das Sommer- fest am folgenden Sonntag war wie ein Willkommensgeschenk für meine Mutter. Zuerst gab es einen Gottesdienst, in dem für die Be- wohner, die Beschäftigten und die Verstorbenen gebetet wurde. Dabei wurde mir klar, dass es zwischen dem echten Islam und dem Chris- tentummehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt. An dem Fest nahmen auch Ordensschwestern teil, die meine Mutter noch von ihrem ersten Aufenthalt kannten. Die Wiedersehensfreude auf beiden Seiten war herzlich und groß. Alle Mitarbeiter und Dino Kierdorf sind einfach großartig. Sie gehen mit den Bewohnern um, als handele es sich um den eigenen Vater, die eigene Mutter oder die Großeltern. Die Aufforderung des türkischen Dichters Yunus Emre „Liebe das Geschöpf um des Schöpfers willen“ findet sich in St. Augustinus umge- setzt. Nun ist meine Mutter schon drei Monate hier. Sie bekommt wieder Appetit und erholt sich. Ich gehe sie täglich besuchen und danke Gott, dass sie wieder in die Haus- gemeinschaften einziehen konnte. Ich bete für alle, die uns dabei ge- holfen haben. Manchmal weiß man etwas erst zu schätzen, wenn man es verloren hat. Sevim Dincer
Sevim mit ihren Eltern in Deutschland
ren ein Zimmer teilen. 1965 holte er meine Mutter nach Köln. Wir Kinder blieben bei meinen Groß- eltern. Der Abschied von meiner Mutter fiel mir sehr schwer und ich lief weinend hinter demBus her, der meine Eltern zum Bahnhof brachte. Ich war gerade sechs Jahre alt. Meine Mutter bekam eine Stelle in der Schokoladenfabrik Stollwerck. Nach sechs Monaten musste sie Urlaub nehmen und mich in Izmir abholen, da ich mich seit dem Weggang der Eltern weigerte zu sprechen. So kam ich 1966 in Köln an. Meiner älteren Schwester ge- fiel es bei den Großeltern und sie blieb in Izmir. Da meine Eltern sehr schlecht Deutsch sprachen und ich in der Schule schnell die Sprache lernte, wurde ich zumDolmetscher. In den sechziger Jahren gab es viele Vorbehalte gegenüber den so- genannten ‚Gastarbeitern‘. Doch es gab auch viele gute Menschen, die uns geholfen haben.
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