CellitinnenForum_3_2019

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Pflege ist keine Einbahnstraße Auch im Alter kann sich der Gesundheitszustand wieder bessern

Ein Albtraum: Man steht mitten im Leben, sitzt nichtsahnend im Auto oder zu Hause, und da passiert es: Von jetzt auf gleich stellt ein Schlag- anfall das komplette Leben auf den Kopf. So erging es Anna Gottschalk und Marianne Keip, beide Jahr- gang 1928. Monate verbrachten die Seniorinnen auf Intensivstatio- nen. Schritt für Schritt kämpften sie sich zurück ins Leben, mussten alltägliche Handgriffe erst wieder lernen und durchliefen dafür viele Rehabilitationsprogramme. Nach monatelangen Klinikaufent- halten ging es gesundheitlich berg- auf – doch was nun? So fit, dass an eine Rückkehr in die eigene Woh- nung zu denken gewesen wäre, waren beide Seniorinnen nicht. Und auch die Angehörigen konnten sich bei allem guten Willen nicht rund um die Uhr kümmern. Ein Umzug in eine Pflegeeinrichtung war die einzig mögliche Lösung. Beide ka- men im Wohnbereich des Senio- renhauses St. Angela unter. „Ich war 2009 eine der ersten Bewoh- nerinnen“, verkündet Gottschalk stolz. Fünf Jahre wohnte sie dort. Als es Gottschalk besser ging, packte sie in der Küche tatkräftig mit an. Schließlich konnte sogar an einen Umzug ins Servicewohnen gedacht werden. Die Aussicht, wieder selbst- bestimmt zu wohnen, gab den Aus- schlag. „Wieder mehr Ruhe“, war für Keip der entscheidende Punkt,

weilig muss es auch im Servicewoh- nen niemandem werden.

aus dem Wohnbereich ins Service- wohnen zu wechseln. Seit zwei Jahren lebt sie in St. Angela, seit einigen Monaten in einem eigenen Appartement. Während der Pflege- dienst Gottschalk noch dreimal die Woche zur Hand geht, kommt Keip ohne diese Leistung aus. Beide Seniorinnen nehmen regel- mäßig das Mahlzeitenangebot in Anspruch. „Gekocht haben wir ja nun beide in unserem Leben ge- nug“, meinen sie und lachen. Gott- schalk musste sich zuerst wieder an die Ruhe im Servicewohnen gewöh- nen – ein Umstand, den die etwas ruhigere Keip sehr genießt. Rätsel- und Zeitungsrunden, gemeinsames Singen und Musizieren, Gymnastik im Programm ‚fit für 100‘, vom Se- niorenhaus organisierte Ausflüge und Kartenspielnachmittage – lang-

Es hat auch Vorteile, nicht mehr für alles, nur noch für sich selbst ver- antwortlich zu sein. Auf die große Wohnung, die Möbel, das Autofah- ren können sie gut verzichten. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so gut loslassen kann“, wundert sich Keip und Gottschalk fügt hinzu: „1954 habe ich mit meinemMann in einem Zimmer angefangen, ein Leben auf- zubauen. Jetzt bin ich wieder auf ein Zimmer zurückgegangen, aber das ist in meiner Lebensphase auch in Ordnung.“ Die Seniorinnen sind froh, trotz gesundheitlicher Ein- schränkungen wieder so rüstig zu sein. Wenn auch nicht im Großen, so gibt es doch im Kleinen auch im Alter Wege zurück: Pflege muss keine Einbahnstraße sein.

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