CellitinnenForum_3_2019

Medizin | Betreuung

Alt und pflegebedürftig in Indien Keiner will sie haben

bis drei Tage über Wasser hält. Nur zehn Prozent der Menschen erhal- ten eine Staats- pension oder Be- triebsrente, die ihnen immerhin das Überleben si- chert. Das staat- lich finanzierte Gesundheitssys- tem ist in einem schlechten Zu- stand. Es fehlt an Fachkräften und oft auch an medi-

Stadt. Unversorgt zurück bleiben die Alten. Und auch in den Städten schaffen es viele Familien nicht, die Älteren mit dem Notwendigsten zu versorgen, kommen sie doch selbst nicht über die Runden: Mehr als 50 Prozent der Inder leben in Ar- mut und müssen mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen. Und auch die Mittelschicht fühlt sich nicht mehr verpflichtet, älteren Angehörigen beizustehen. Junge, gut ausgebildete Inderinnen wollen beruflich vorankommen, statt an das Haus mit pflegebedürftigen An- gehörigen gebunden zu sein. Kurz: Das VersorgungssystemGroßfami- lie funktioniert nicht mehr. Die Indische Regierung hat das Dilemma erkannt. Sie tritt für ein menschenwürdiges Leben im Alter ein und hat sich auch gesetzlich dazu verpflichtet, doch lassen die Taten noch auf sich warten. Das staatliche Förderprogramm für alte Menschen (‚help age System‘) exis- tiert lediglich auf dem Papier. Das hat Folgen: Besonders auf dem Land oder in armen Familien müs- sen alte Menschen bis ins hohe Alter arbeiten, um zu überleben. Sind sie zu schwach dazu, sterben sie einsam und unversorgt auf der Straße. Gewalt innerhalb der Fa- milien, auch der wohlhabenden, gegenüber den (Schwieger-) Eltern sind keine Seltenheit, sei es aus purer Überforderung oder weil die Alten und Kranken dem Wunsch der Jüngeren nach Individualität

In den Kliniken und Seniorenhäu- sern der Cellitinnen zur hl. Maria sind viele indische Ordensfrauen in der Pflege und Seelsorge tätig. Das CellitinnenForum hat sich mit eini- gen von Ihnen unterhalten, um zu erfahren, wie die Alten- und Kran- kenpflege in Indien organisiert ist. Etwa 120 Millionen Inder sind be- reits heute über 60 Jahre alt. Bis 2050 werden es wohl 320 Millionen sein, so die düstere Prognose. Düs- ter, denn schon heute hat Altwer- den in Indien nichts mit Würde zu tun. Staatliche Sicherungssysteme wie Renten- oder Krankenversiche- rung gibt es auf dem Subkontinent so gut wie gar nicht. Lediglich 1,6 Prozent beziehen eine Armenren- te von 200 Rupien im Monat. Das sind umgerechnet noch nicht ein- mal drei Euro. Selbst in Indien kein Betrag, der einen mehr als zwei

zinischem Know-how. Operationen und Medikamente sind generell aus eigener Tasche zu zahlen. Für die Pflege und die Mahlzeiten in den Kliniken ist die Familie des Patien- ten zuständig. Wer es sich leisten kann, lässt sich in einer der zahl- reichen Privatkliniken behandeln, die einen Vergleich mit westlichen Krankenhäusern nicht scheuen müssen. Bisher verlangte es die Tradition, dass die jüngere Generation sich um die Eltern kümmert – soweit das Ideal. Mutter und Vater leben unter dem Dach des ältesten Soh- nes. Sind sie krank und schwach, übernimmt die Schwiegertochter die Pflege. Die Realität sieht heute wahrlich anders aus: Immer mehr Inder zieht es vom Land in die Zwischen Ideal und Realität

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