CellitinnenForum 4_2019_

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‚Im Herzen der Spiritualität‘ Anselm Grün und Ahmad Milad Karimi über die Wurzeln ihres Glaubens

‚Im Herzen der Spiritualität – Wie sich Muslime und Christen begeg- nen können‘ – der Titel des Bu- ches sagt bereits aus, worauf es den Autoren ankommt. Der eine Benediktinermönch, Schriftstel- ler und Betriebswirt, der andere muslimischer Religionsphilosoph, prominenter Islamwissenschaftler und Professor an der Universität Münster. Beide gehen an die Wur- zeln ihrer Religion, suchen das Ver- bindende und erklären das Tren- nende, ohne dabei in Rechthaberei zu verfallen. In ihren Ausführungen lassen sie alle Allgemeinplätze hin- ter sich. Sie üben rechts und links des Weges Kritik an falsch verstan- dener und politisch vereinnahmter Religiosität in den ‚eigenen Reihen‘, doch das ist nicht ihre eigentliche Botschaft. Grün und Karimi bohren tiefer, bis sie an die Fundamente ihrer Religion stoßen. Dabei sprechen sie auch die Knackpunkte, oder wie sie es nennen, die ‚Stolpersteine‘ an: Die Dreifaltigkeit, die Menschwerdung Gottes oder die Erbsünde sind für Muslime anstößig. Dagegen tun sich Christen mit dem alle Lebens- bereiche umfassenden Anspruch des Islam schwer. Doch statt Dif- ferenzen auszusparen, erklären die Autoren diese auch vor dem historischen Kontext. So schaffen sie es, dass die Unterschiede den Gesprächspartner – und den Le- ser – berühren, ohne ihm etwas auf- drängen zu wollen. Offen sprechen

der Ordenschrist und der Muslim über Jesus – Prophet oder Erlö- ser? –, über Maria – Heilige oder besondere Frau?, das Gebet, die Barmherzigkeit, das Fasten, Pilger- schaften, Toleranz, Missionierung und vieles mehr. Dabei wird deut- lich, wie viel uns verbindet, betrach- tet man den eigentlichen Kern und die Fragen, die wir uns stellen: Was soll ich als gläubiger Christ/Moslem tun? Ob Allah oder Gott – die Au- toren sprechen von dem ‚absolu- ten Geheimnis‘, dem man sich nur annähern kann, ohne es jemals zu lüften. Manchmal ertappt man sich beim Lesen dabei, nachschlagen zu müssen, wer von beiden nun ge- rade schreibt. Doch geht es den Autoren nicht darum, einen ‚reli- giösen Einheitsbrei‘ zu fabrizieren. Beide brennen für ihren Glauben, doch lassen sie die Unterschiede in gebotenem Respekt stehen, be- staunen diese ‚Schätze‘, die spiri- tuelle Tradition des anderen. In unseren politisch anstrengen- den Tagen, in denen nicht nur an Stammtischen die pure Emotion zu regieren scheint, und Religion dazu missbraucht wird, Macht- interessen durchzusetzen, zeigt dieses Buch wohltuend und wei- se auf, wie ein Miteinander (nicht nur) der Religionen gelingen kann: Demut statt Hochmut, Interesse statt Gleichgültigkeit, Dialog statt Monolog.

Verlag Herder 1. Auflage 2019 288 Seiten

ISBN: 978–3–451–03131–1 Preis: € 20,- (Hörbuch € 14,99)

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