CF_2020_2

THEMA

THEMA

Beten mit dem Smartphone Digitalisierung um jeden Preis: Wo liegt die Grenze zwischen Assistenz und Verlust der menschlichen Zuwendung?

Beten mit dem Smartphone – ich kann es mir, was das

Stundengebet angeht, gar nicht mehr anders vorstellen.

sen zu sein, kann in dem anderen Fall das Verlorengehen grundle- gender menschlicher Zuwendung bedeuten. Technische Entwicklungen sind ausgerichtet auf ihre Verbesse- rung und die Steigerung ihrer Ef- fektivität. Zugleich ist damit das Ziel einer Kostenoptimierung ver- bunden. Wenn der Einsatz solcher Assistenzmittel ökonomische und organisatorische Vorteile erbrin- gen mag, so darf das Nachden- ken über deren menschenwürdig vertretbaren Einsatz nicht nach- lassen. Aus ethischer Sicht gilt es, diese Entwicklungen weiterzuden- ken und mit Adelheid von Stösser zu fragen: „Wo und an welchem Punkt wollen wir eine Grenze zie- hen? Was ist sinnvoll und hilfreich und was nicht? Sollte es jemals dazu kommen, dass Roboter se- rienmäßig zur Beaufsichtigung und Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse von pflegebedürfti- gen Menschen eingesetzt werden, dürfte das das Ende unserer Kul- tur bedeuten.“

Für die umfassenden und komple- xen Digitalisierungsprozesse in un- serer Gesellschaft ist das nur ein kleines Beispiel. Es zeigt wie diese Entwicklungen mittlerweile auch in die religiöse Lebenswelt hineinrei- chen. Der Digitalisierung als globa- lem Trend kann man sich nicht ent- ziehen, erfasst diese Entwicklung doch alle Lebensbereiche immer schneller und weitreichender. MENSCHLICHE ZUWENDUNG VERSUS PERSONALEINSPA- RUNG Wie wird aber dabei die über al- lem stehende Würde des Men- schen gewahrt, wenn man an die damit verknüpften Themen Teil- habegerechtigkeit, Datenschutz- sensibilität, Jugendmedienschutz oder allgemein die Auswüchse der Hasskommunikation im Inter- net denkt? Aus christlicher Sicht steht dabei eine ‚kritische Wach- samkeit‘ und der Einsatz für das, was dabei menschendienlich ist, ganz obenan. Ethische Fragestellungen erge- ben sich auch in der Bewertung zum Einsatz technischer und

elektronischer Assistenzmittel, die das selbstbestimmte Wohnen im Alter ermöglichen. So bieten ‚Ambient Assisted Living‘-Syste- me ein digital unterstütztes Le- ben für ältere und benachteiligte Menschen in ihrer Wohnumge- bung. Erkennungssensoren am Herd, spezielle Beleuchtungen in Wohnungen und auf Wegen, Sturzsensoren und vieles mehr sollen Sicherheit und Komfort er- höhen und soziale Teilhabe för- dern. Dabei ist Qualität solcher Entwick- lungen zu beachten. Es ist ein Un- terschied, ob ein ‚Pflegeroboter‘ von Menschen mit erheblichen Einschränkungen der Unterstüt- zung von Selbstständigkeit dient oder ob damit versucht wird, Per- sonalengpässe auszugleichen. Anders ausgedrückt, was in dem einen Fall dazu führt, nicht für je- den Handgriff auf andere angewie-

E s mag etwa fünf Jahre her sein: Katholische Diakone hatten sich zum Vespergebet versammelt. Ich war dabei und zog kurz vor Beginn mein Smartphone aus der Manteltasche. Neben mir saß ein anderer Teilnehmer, der mich von der Seite stirnrunzelnd an- sah. Unausgesprochen aber deut- lich war in seinem Blick die Frage: „Kannst Du nicht wenigstens jetzt die Finger von deinem Smartpho- ne lassen? Wir wollen doch gleich mit dem Gebet anfangen.“ Er selbst hatte schon das ‚klassische‘ Ge- betbuch an der richtigen Stelle aufgeschlagen. Ich wollte natürlich ebenfalls genauso beten, aber mit meiner Stundenbuch-App auf dem

Handy, die ich mir damals schon heruntergeladen hatte.

Beten mit dem Smartphone – ich kann es mir, was das Stunden- gebet angeht, gar nicht mehr an- ders vorstellen. Das geht sicher auch den mittlerweile 170.000 Anwendern so, die dieses Pro- dukt inzwischen nutzen. Natür- lich behält für mich das Gebet- buch seinen eigenen Wert, aber die App hilft mir ungemein, das Beten in meinen Tagesablauf zu integrieren. Und es ist doch gut, wenn es mir dadurch erleichtert wird, meinen Alltag zu unterbre- chen und betend mit Gott in Kon- takt zu treten.

Diakon Wolfgang Allhorn Leiter Stabsstelle Kirchliche Unternehmenskultur

36

CellitinnenForum 02 | 2020

CellitinnenForum 02 | 2020

37

Made with FlippingBook Annual report