Cellitinnen 3_2018_finale_Version 30.7.2018
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deren Grenze auf. So reagiert ein Vorgesetzter, der über Beschwer- den seiner Mitarbeiter mit einem Achselzucken hinweggeht, nicht mehr gelassen, sondern besten- falls gleichgültig. Eltern, die ihre Kinder täglich stundenlang vor dem Fernseher parken, muss man Faul- heit und Teilnahmslosigkeit unter- stellen, statt eines gelassenen Um- gangs mit der Technik. Will sagen: Treibt man die Gelassenheit zu weit, kippt sie ins Negative. Doch es ging den Philosophen bis in die Moderne nie allein um das Wohlbefinden des Individu- ums, sondern darum, in der Welt das Richtige zu tun, indem man das Handeln reflektiert und dann mit Bedacht entscheidet. Helmut Schmidt schien manchen oft zu be- herrscht, fast kaltherzig. Tatsäch- lich ging es ihm nach eigener Aus- sage darum – wie Marc Aurel, an dessen Schriften er sich orientier- te – das seelische Gleichgewicht zu bewahren, um seine Aufgaben an-
und Römer nicht aus. Während sich der Theologe auf die Allmacht Gottes berief, fühlten sich die Stoi- ker eingebettet in etwas Großes, Wohl- und Übergeordnetes: den Kosmos. In diesem System seien Schicksalsschläge nur als vorüber- gehend zu betrachten. Nach mehr als 2.000 Jahren Gelassenheitsde- batte haben sich die Fundamente, auf der sie steht, geändert – oder besser: erweitert. Gott wie Kosmos sind für viele Menschen der west- lichen Welt nicht mehr Dreh- und Angelpunkt ihres Denkens. Wäh- rend sich Gläubige auch in der Frage der Gelassenheit der gött- lichen Macht sicher sind, beziehen sich nicht-gläubige Menschen auf Werte und Konventionen, die sich zwar mit der Zeit ändern, aber im- merhin für den Moment Gültigkeit besitzen. „Sei wie ein Fels, an dem sich be- ständig die Wellen brechen! Er bleibt stehen, während sich rings um ihn die angeschwollenen Gewässer le- gen. (Marc Aurel) Die alltagstaugliche Philosophie der Gelassenheit als Wunschzustand überdauerte die Jahrhunderte. Ein- zig die Denker und Literaten des ‚Sturm und Drang‘, wie der jun- ge Goethe oder Friedrich Schiller, konnten mit der Gelassenheit gar nichts anfangen. Sie traten in ihren (frühen) Werken für die Hitze der Gefühle ein und unterstellten der Gelassenheit Dickfelligkeit, Gleich- gültigkeit, Kaltblütigkeit, Teilnahms- losigkeit oder Untätigkeit. Mit ihrer Kritik trafen sie die Achillesferse der Gelassenheit, denn sie zeigten
Gelassenheit verheißt einen Anker in unserer rastlosen, reizüberfluteten modernen Welt (Wilhelm Schmidt) Und heute? Wie viel Raum geben wir der Gelassenheit? In einer seit der Industrialisierung sich immer schneller drehenden Welt scheint das Machen heute zwingend, das Lassen hingegen unzeitgemäß. Dennoch – oder gerade deshalb? – sind die Regale in Buchhandlungen mit Ratgebern zu Gelassenheit im Alltag gut gefüllt. Je turbulenter die Zeit, desto größer ist die Nachfrage nach einem gelassenen Umgang mit ihr. Doch entpuppen sich viele der gut gemeinten Ratgeber als blo- ße Lektüre zur Selbstoptimierung oder als Anleitung zur Entspannung. Ihnen fehlen außerdem die Wurzeln, die die Gelassenheit braucht, um wachsen zu können: Die Gewiss- heit, dass ich, egal was passiert, von einer tragenden Kraft gehal- ten werde. Für gläubige Menschen kommt diese Kraft von Gott.
gemessen erfül- len zu können. In der Fremdwahr- nehmung wirkt die Gelassenheit auf andere nicht selten irritierend, emotions- oder antriebslos, ob- wohl sie das nicht ist. Sie weiß ihre Gefühle nur zu kontrollieren und lässt sich möglichst nicht zu unbedachten Handlungen hin- reißen.
Meister Eckhart
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CellitinnenForum 3/2018
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