St. Vinzenz-Hospital.indd
DAS „MODERNSTE KRANKENHAUS DES RHE I NL ANDS“ I N UNRUH I GEN ZE I TEN ( 1 9 1 9–1 949 )
UNTER E I NEM DACH : KR ANKENHAUS UND L A Z ARET T
Solche Vergehen waren strafbar, aber nicht im Sin- ne der nationalsozialistischen Willkürjustiz, son- dern nach einer noch von der Regierung Heinrich Brüning im Februar 1932 erlassenen Verordnung. Als am 15. Mai 1935 vor dem Schöffengericht in Berlin-Moabit der auch international beachtete Prozess stattfand, nutzte das NS-Regime das Fehl- verhalten der Schwestern propagandistisch aus. ImProzessbericht war von „abenteuerlichen Geld übergaben“ im niederländischen Kerkrade die Rede, das „als Schmugglernest bekannt“ sei. Rats- sekretärin Schwester Elisabeth wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, aber nach drei Jahren entlassen. Ökonomin Schwester Theomilla erhielt eine dreijährige Gefängnisstrafe, die ihr aus Krank- heitsgründen erlassen wurde. Die Caritative Ver- einigung GmbH, „die die Gelder aufgebracht hat und in deren Namen die Gelder nach dem Aus lande verschoben worden sind“, musste eine Strafe von 250.000 Reichsmark zahlen. Wie war es zu dieser folgenschweren Affäre ge- kommen? Schwester Elisabeth gab später an, die Schwestern hätten zu lange auf falsche Ratgeber gehört und versäumt, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Der Schaden für den Orden und indirekt auch für das Hospital war jedenfalls groß. Der Kölner Erzbischof Karl Joseph Kardinal Schulte war bemüht, den öffentlichen Ruf wiederherzu- stellen, und veranlasste eine außerordentliche kanonische (kirchenrechtliche) Visitation. Im Anschluss kam es auch zu personellen Änderun- gen, Nachfolgerin von Everharda Wichers als Obe- rin des Hospitals wurde 1935 Schwester Meno dora Paffrath. Die „Klosterjäger“, die die Orden als ergiebige Steuerquellen aufsuchten, zwangen die Schwestern nicht zuletzt, die Buchführung und das Geschäftliche im Hospital künftig noch sorg- fältiger zu betreiben. Das übernahm ab 1935 die Solidaris Treuhand, eine Tochter des Deutschen Caritasverbands.
Die Bilanzen für 1935 bis 30. Juni 1936 zeigten vor allem eines: Das Hospital war überschuldet, weil es hohe Verpflichtungen gegenüber der Caritati- ven Vereinigung hatte und dabei wenig Einnah- men. Aufwand und Ertrag je Pflegetag standen in einem Missverhältnis, überdies war die Auslas- tung zu gering: 1935 waren lediglich 50 Prozent der Betten belegt. 1935 führte das NS-Regime die allgemeine Wehr- pflicht ein, seit 1936 wurde mit dem „Vierjahres- plan“ die militärische Aufrüstung mit dem Ziel forciert, das Deutsche Reich „kriegsfähig“ zu ma- chen. Da zur militärischen Infrastruktur auch aus- reichend Lazarette gehörten, veränderten sich für das St. Vinzenz-Hospital zumindest in finanziel- ler Hinsicht die Bedingungen. Ende 1936 pachtete die Wehrkreisverwaltung VI Münster einen Teil des Hospitals, um ihn als Lazarett zu nutzen. Ver- mutlich ging es um etwa 100 Betten, deren Betreu- ung zehn Schwestern der NS-Volkswohlfahrt und Sanitätsoffiziere der Wehrmacht übernahmen. Der zivile Hospitalbetrieb lief parallel weiter. Die Pachteinnahmen für das Lazarett verwen deten die Schwestern womöglich unter anderem dafür, Anfang April 1938 das nahe gelegene Lui- senheim an der Mauenheimer Straße zu erwer- ben. Sie nutzten es als Internat und Wohnhaus. Bald pachtete das Militär weitere Bereiche des Hospitals. So wurde die Kinderstation geräumt und dem Lazarett angegliedert. Die Kinderstation kam nun in den ehemaligen Räumen der Schwes- tern unter. Rund 16.000 Mark zahlte der soge- nannte Wehrfiskus monatlich an Pacht an die Ver- einigung. Verpflegung und Wäscherei, die das Hospital übernahm, und „Abnutzungsgebühren“ für Betten und Einrichtungen waren inbegriffen. Mit diesen festen Einnahmen kam das Hospital bald in die schwarzen Zahlen. Laut Fragebogen der Deutschen Arbeitsfront beschäftigte es 1937/1938 48 Arbeiter und Angestellte sowie 55 Ordens- schwestern. Am 26. August 1939, fünf Tage vor Kriegsbeginn, übernahm die Wehrmacht sogar vorübergehend die komplette Verwaltung des Hos- pitals. Pacht, Löhne, Verpflegungs- und andere Kosten wurden an die Caritative Vereinigung ge- zahlt.
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